Wie man es schafft, einen Fisch am Spieß am Kopf und am Schwanz zu braten und in der Mitte zu dämpfen …
Im Wintersemester 2018 haben die Teilnehmerinnen des Joint Master’s Degree Seminar-Moduls zur ‚Vermittlung mediävistischer Forschung‘ (geleitet von Andrea Hofmeister und Helmut W. Klug) ein kleines Projekt zu kulinarhistorischen Texten durchgeführt, das u.a. Einblicke in regionale Ernährung und gehobene Gastfreundschaft im Spätmittelalter gewährte. Im germanistischen Fachseminar wurden mittelalterliche Kochrezepttexte aus der reichen deutschsprachigen Überlieferung ausfindig gemacht, philologisch erschlossen und interpretiert, die zu jenen Speisennennungen bzw. -beschreibungen passen könnten, die Paolo Santonino, der Privatsekretär des Patriarchen von Aquileia, als Begleiter des Bischofs von Udine auf insgesamt drei Visitationsreisen 1485‒1487 im Raum Osttirol, Kärnten und der ehemaligen Untersteiermark in seinem lateinischen Reisetagebuch vermerkt hat. Neben anderen Daten und Fakten waren zuvor insbesondere die besagten Menüfolgen aus dieser minutiösen Dokumentation im Praktikum ‚Datenverarbeitung im Kontext einer Digitalen Edition‘ annotiert und für eine interaktive Webpräsentation vorbereitet worden.
Zum Abschluss des Moduls am 2. Feb. 2019 durften die beiden Lehrenden (beide sind zugleich KuliMA-Mitglieder) gemeinsam mit ihren Studierenden und einer Gruppe von Archäologiestudent/innen und ihrem Lehrenden Mag. Levente Horváth einige der aufgespürten und philologisch aufbereiteten Kochrezepttexte in der noch original erhaltenen spätmittelalterlichen Rauchkuchel von Straßengel praktisch umzusetzen versuchen. Den Höhepunkt im Menüplan bildeten dabei zweifellos jene beiden Gerichte, die direkt in der Rauchkuchel am offenen Feuer zubereitet wurden: carnes in tenebras (wörtlich ‚Fleisch in der Dunkelheit‘), das wir als Fürhäs oder Schwarzes Mus identifiziert hatten (ein Ragout aus Fleisch bzw. Innereien, das seine dunkle Farbe durch die Zugabe von etwas Blut erhält), und ein Hecht (bzw. in unserem Fall ersatzweise ein Wolfsbarsch) am Spieß, der nur am Kopf und am Schwanz gebraten wird, in der Mitte jedoch – während des Bratvorgangs sorgfältig abgeschirmt durch eine fortlaufend mit Suppe und Wein feucht gehaltene Leinenbandage – gedämpft werden soll.
Gleich nebenan wurden in einer modernen Küche von den Studierenden u.a. Salsen zubereitet, die in den Handschriften als humoralmedizinisch perfekte Ergänzung zum Fisch praktischerweise gleich mit überliefert sind, sowie eine fastentaugliche Weinsuppe, Kraut mit Speck (ein Gericht, für das Santonino eher selten lobende Worte findet, weil es offenbar zu häufig auf dem Speiseplan stand) und drei verschiedene Sorten Schmalzgebäck (Krapfen), wie es Santoninos Delegation ebenfalls häufig aufgetischt wurde. Das Ergebnis unseres Workshops war ein veritables Festmahl, das auch einem Santonino zur Ehre gereicht hätte, stilecht komplettiert durch zwei nicht nur in Santoninos Reisebericht gepriesene historische Weinsorten aus südlicheren Gefielden, den edlen Malvasier und den süffigen Rebula (mhd. rainval).