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“Woche des Genusses aus dem Mittelalter” (Stiftstaverne Rein)

Im Rahmen des Tages des Denkmals wird dem Besucher von Stift Rein ein umfassendes Programm geboten, das ganz nach dem Motto ‘Orte des Genusses’ auch ein kulinarisches Erlebnis in der Stiftstaverne Rein verspricht und unserem Verein die Möglichkeit bietet, allen Interessierten im ersten Stock des Stiftes einen kurzen Blick auf die Ernährungsgewohnheiten des mittelalterlichen Menschen werfen zu lassen. Da die Initiative der Stiftstaverne auf deren Website beworben wird und sich dazu noch über den Zeitraum einer Woche erstreckt, war ein abendlicher Besuch unumgänglich … und die Erwartungen waren ausgehend von den Ankündigungen im Internet,1 dass es sich bei dem Gebotenen nicht um das übliche “Ritteressen” handle, entsprechend hoch gesteckt.
Eigentlich bin ich davon ausgegangen, dass ein gut beworbener und am Tag des Denkmals gleichermaßen wichtiger Punkt im Gasthof selbst bzw. in der Speisekarte prominenter ausgeschildert wäre, doch bis zum Öffnen derselben war von dieser besonderen Attraktion nichts zu erkennen. Auch die opulent und mit den besten saisonalen Schmankerln gefüllte Speisekarte gibt ihre Geheimnisse erst auf den zweiten Blick frei: Gerade in diesem Fall könnte ich mir eine lose Beilage mit entsprechenden vorbereitenden und weiterführenden Informationen für den kulinarhistorisch nicht vorgebildeten Gast sehr gut vorstellen – denn nur den wenigsten wird bekannt sein, dass ein mittelalterliches Mahl nach anderen Regeln und völlig abweichend von der heutigen Konvention abgelaufen ist: So bringt zum Beispiel ein Gang eines mittelalterlichen Festmahles mehrere unterschiedliche Speisen auf den Tisch, von denen die Speisenden je nach persönlichem Verlangen, das meist von religiösen bzw. diätetischen Aspekten bedingt ist, mehr oder weniger verzehren – eine portionierte Zuteilung der Speisen wurde erst wesentlich später eingeführt. Dazu muss dem Gast verständlich gemacht werden, wer Zugang zu derartigen Nahrungsmitteln hatte und zu welchen Gelegenheiten diese serviert wurden, welche Rolle regionale Aspekte in der Ernährung spielten, oder wie es generell um die Zubereitungsmethoden im Mittelalter bestellt war und warum diese angewandt wurden, denn auch diese Informationen sind für einen objektiven Zugang zur Thematik unumgänglich notwendig. Entsprechende Informationen dazu wären auch sehr leicht zu beschaffen gewesen, denn die angebotenen Speisen stammen durchwegs aus dem Kochbuch des Mittelalters von Trude Ehlert (Düsseldorf, 2000), das zusätzlich zu den Rezepten auch umfassende Hintergrundinformationen zur Ernährung im Mittelalter bietet.
Die mittelalterliche Küche war eine sehr kreative Küche, und diesem Umstand wird das Angebot der Stiftstaverne vollkommen gerecht, aber auch hier – wahrscheinlich wieder aufgrund der mangelnden Information – begibt man sich auf eine Gratwanderung zwischen sehr hohen Ansprüchen und den üblichen Fehlern, denn in den angekündigten mittelalterliche Speisen verbergen sich eine Reihe gar nicht so mittelalterlicher Zutaten wie zum Beispiel Chili oder die in verschiedenen Varianten vertretene Kartoffel, welche beide aus der neuen Welt eingeführt wurden und sich in Europa erst Jahrhunderte später als Nahrungsmittel etabliert haben. Aufgrund aktueller eigener Experimente und der ‘klassisch mittelalterlichen’ Kombination fiel meine Speisenwahl sehr rasch auf das “Schweinefilet im Krapfenteig”, das mich und meine Begleitung vor allem wegen der interessanten Würzung und auch der Kombination mit der “Sauce zu weißen Hühnern”2 sehr ansprach.
Serviert wurde das im Krapfenteig3 gebackene Schweinefilet portioniert vorgeschnitten auf einem Rucola-Bett4 mit adretter Apfelessig-Glace Dekoration, die Sauce wurde extra gereicht. Der erste ansprechende optische Eindruck konnte leider in der Zubereitung der Speisen nicht wiederholt werden: Das Filetstück hatte under der 40-minütigen Zubereitungszeit gelitten und war dementsprechend nicht mehr zart und rosa. Die überlieferten mittelalterlichen Rezepttexte vermitteln den Eindruck, dass die beschriebenen Speisen geschmacklich mit jenen der heute bekannten orientalischen Küche vergleichbar seien,5 und entsprechend nachvollziehbar erschien das Würzen des mit Teig umwickelten Schweinefleisches mit einer Ingwer-Muskat-Mischung – allein, das servierte Gericht wurde nicht mit den genannten Gewürzen verfeinert, statt dessen wurde sehr großzügig mit Chili hantiert, was jede weitere geschmackliche Beurteilung der Speise beeinträchtigte, da sich die ganz eigene Schärfe des Chili im Gegensatz zur flüchtigen, zitronigen Schärfe des Ingwer hartnäckig im Mund und am Gaumen hält. Die “Sauce zu weißen Hühnern” wurde nach dem in Ehlert vorgegebenen Rezept zubereitet und war geschmacklich ausgezeichnet, anstatt der Pfefferkörner wurde allerdings gemahlener Pfeffer verwendet, was die Sauce zwar würziger aber andererseits sehr viel weniger interessant machte, da die Rosinen allein der Sauce nicht genug an Körper verleihen konnten.
Der mit sehr großen Erwartungen begonnene abendliche Ausflug war insgesamt betrachtet sehr ernüchternd, und es hat sich zum wiederholten Male gezeigt, dass eine adäquate historische Küche auf den endsprechenden historischen Fakten aufgebaut werden muss, um beim (vorgebildeten) Gast auch den erwünschten Eindruck zu hinterlassen! Ohne Zweifel gelingt es dem Gasthof, sich mit dem Angabot vom durchschnittlichen “Ritteressen” deutlich abzuheben, trotzdem kann ich im konkreten Fall eine ‘kulimarische Auszeichnung’ nur für die engagierte Initiative des Hauses vergeben aber leider nicht für das präsentierte Produkt.


  1. An dieser Stelle ein herzliches ‘Dankeschön’ für den Verweis auf unseren Verein und gleichzeitig der notwendige Hinweis, dass wir natürlich nach Rezepten des 14. und 15. Jahrhunderts kochen, denn davor sind keine deutschsprachigen Kochrezepttexte überliefert. Die erste überlieferte Sammlung ist das Würzburger buoch von guoter spise von ca. 1350.
  2. Ehlert, S. 60.
  3. Ehlert, S. 36. Der mittelalterliche Krapfenteig wird in den überlieferten Rezepten normalerweise als gefülltes Täschchen frittiert, aber auch das Backen bietet eine interessante Variante. Persönlich war mir der verwendete Teig zu stark gesüßt.
  4. Die Ursprungsform, Eruca sativa L., Rauke hat wie so viele Gewürzpflanzen des Mittelalters einen mediterranen Ursprung und ist in den Kräuterbüchern regelmäßig, in den Kochrezepten aber nicht belegt.
  5. Als ein sehr griffiger Vergleich kann das bekannte döner kebap herangezogen werden, das sowohl in der Würzung wie auch in der Zubereitung sehr viele Analogien zum mittelalterlichen Kochen zulässt.